Von der Flucht bis zur Integration

Es ist eine reine Glückssache, WO und von WEM jemand geboren wird. Niemand hat etwas dafür getan, dass er/sie/es im sicheren Deutschland leben darf. Doch wir alle würden – so unsere Hypothese – fliehen / unser Heimatland zurücklassen, wenn unsere Familie vom Tod bedroht wäre.

Patenfamilie 1

Noch kurz vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine wurde unserer früherer Verein (2021-2024) von einem Amt gefragt, ob wir Kleiderpakete für ankommende Familien aus Afghanistan packen könnten. Wir willigten ein, sammelten Kleiderspenden. Eines dieser Kleidungspakete überreichte ich einer Familie, die gerade erst in Deutschland angekommen waren. Der Familienvater hatte als Ortskraft über Jahre mit Organisationen aus Deutschland vor Ort in Afghanistan zusammengearbeitet. Die Taliban kündigten für sein Tun Vergeltung an, die Familie wurde bei der Flucht unterstützt, konnte ausfliegen. 
 
Papa, Mama, Kind und zwei Koffer. Wir waren uns sofort sympathisch, es war die gleiche Konstellation wie in unserer Familie – mit dem Unterschied, dass wir das Glück hatten, in einem sicheren Land mit Krankenversorgung und Sozialleistungen geboren zu sein.
 
Aus dieser ersten Begegnung in einer Flüchtlingsunterkunft in Stormarn entwickelte sich eine Patenschaft. Eine Patenfamilie zu haben, ist für uns ein Geschenk. In diesem Fall konnten wir vom ersten Amtsgang an unterstützen, den arbeitsintensiven, bürokratischen Weg gemeinsam gehen. Schnell waren eine Wohnung, ein Kitaplatz und ein Sprachkurs gefunden. Die entstandene Freundschaft hält bis heute und wurde durch die Sorge um die zurückgelassene Familie nur enger. Die Integration schreitet voran, wir duften viel über eine Kultur lernen, die uns einst fremd war. Ein Schatz, den wir hüten.
 

Patenfamilie 2

Unsere 2. Patenfamilie aus Afghanistan hat eine andere, dramatische Fluchtgeschichte erleben müssen. Eigentlich waren wir wegen unseres 80-jährigen Herzensmenschen in der Obdachlosenunterkunft bei uns im Ort aktiv. Dort trafen wir auf den Familienvater Faheem (Name zum Schutz geändert). Dieser war vor kurzem nach Deutschland gekommen, über den Land- und den Wasserweg. Seine Frau und sein Kind befanden sich zu dem Zeitpunkt noch im Iran, in einem Versteck. Er: ehemaliger Politiker, Sie: Schulleiterin einer Mädchenschule und Anwältin. Beide gehörten, bevor die Taliban Kabul stürzten, zu den wohlhabenden Bürger*innen ihres Landes, die sich in ihrem Heimatland für Frauenrechte und Demokratie einsetzten. Todesdrohungen gehörten auf einmal zu ihrem Leben, die Sorge um das Baby war mehr als Grund genug, um sich auf die Flucht zu begeben.

Im Iran trennten sich die Wege. Der Familienvater wagte alleine die gefährliche Flucht zu Fuß. Frau und Kind blieben im Versteck zurück. Ein halbes Jahr später trafen wir den Papa und es knüpfte sich ein Band der Freundschaft. 
 
Gemeinsam erkämpften wir die Familienzusammenführung. Vorweg, ein Jahr voller Anträge, Hürden, unvorstellbaren Telefonaten mit Mitarbeiter*innen vom Auswärtigen Amt, die uns immer noch schockieren. Wir starteten eine Petition – sammelten mehr als 100.000 Unterschriften, appellierten wöchentlich an Frau Baerbock, organisierten zwei Demonstrationen in Berlin. Jeden Nerv, den wir verloren, jede Minute Lebenszeit, die wir investierten, jede Hoffnung, die wir aufrechterhielten, zahlte sich aus, als sich im Februar 2024 die Familie am Hamburger Flughafen wieder in die Arme schließen konnte. Als ein Vater sein Kind nach zwei Jahren wieder sah, ein Ehepaar wusste, sie haben die Brutalität von Verfolgung, Krieg und Terrorismus überlebt! Es war der berührenste Moment unseres bisherigen Ehrenamtes, ein Moment, dessen Bedeutung wir erst viel später verstanden. Wir haben gezeigt: Leben retten geht, wir müssen es nur wollen @Baerbock. 
 
Jetzt begleiten wir die Familie bei der Integration in Deutschland: Einen Ausflug an die Nordsee, ein Tag im Wildpark Schwarze Berge, gemeinsame Feiern. Bereits geschafft: Eine größere Wohnung und ein Kitaplatz sind gefunden.
 
Wir können nicht die ganze Welt retten, aber wir können bei uns im Umfeld schauen, wo wir unterstützen, wo wir unsere Kraft, unsere Sturheit einsetzen können, um die Ämter und Politiker*innen immer und immer wieder darauf hinzuweisen, was falsch läuft und wie sehr sie das Retten von Leben sowie unser Ehrenamt erschweren. Wir können in Verhandlungen gehen und den Menschen aus unserer Gemeinde zur Seite stehen, die in dem Moment nicht die Kraft aufbringen – nicht ihre Stimme erheben können. 
 

Zwei Patenschaften, zwei Familien, zwei Geschichten = viele spannende Erfahrungen auf allen Seiten. Es lohnt sich, über den Tellerrand zu schauen und sich einzusetzen. Verloren haben wir erst, wenn wir nicht mehr wagen, keine Hoffnung mehr aufbringen, nicht mehr aktiv sind, keine positiven Visionen hochhalten, die uns wissen lassen: So vieles ist möglich! 

Ihr möchtet auch das Glück einer Patenschaft kennenlernen? Ruft uns an, lasst uns uns zusammensetzen und gemeinsam die Integration in unserem Land gestalten und leben. 

Unsere Reise der letzten Jahren durch den Bürokratie-Dschungel haben wir in einem Blog festgehalten, zumindestens dann, wenn wir innerhalb unseres Ehrenamtes dafür die Kapazitäten hätten.
 

Geschrieben von Sonja Borowski